Die Geschichte der Wehrpflicht in Deutschland ist eine Geschichte von staatlichem Zwang – und davon, dass vor allem junge Generationen darunter leiden mussten - und ihrer späten Aussetzung. 1956 eingeführt, war sie über Jahrzehnte hinweg ein fester Bestandteil des Lebens junger Menschen. Alle wussten: Mit dem 18. Geburtstag kommt die Musterung, mit ihr die Entscheidung des Staates über den eigenen Körper. Erst 2011 kam die Wende. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, die Politik sprach von mehr Freiheit und Eigenverantwortung. Für viele wurde es selbstverständlich, nicht mehr gezwungen werden zu können, eine Uniform zu tragen.

Doch diese Selbstverständlichkeit bröckelt. Am 27. August 2025 hat das Bundeskabinett den Entwurf für ein neues Wehrdienstgesetz beschlossen. Mit diesem Schritt ist klar: Die Wehrpflicht kommt nicht einfach zurück – sie kehrt schleichend zurück. Zunächst tarnt sich das Gesetz als „freiwilliges Modell“. Ab 2026 sollen alle jungen Menschen zum 18. Geburtstag einen Brief erhalten. Für Männer ist es Pflicht, diesen Fragebogen auszufüllen, für Frauen freiwillig. Was harmlos klingt, ist in Wahrheit der erste Schritt. Mit jeder Antwort, mit jedem angekreuzten Feld beginnt die Erfassung: ein staatlicher Zugriff auf die Frage, ob Menschen bereit sind, für den Staat zu töten und zu sterben.

Ab dem 1. Juli 2027 soll es dann noch konkreter werden. Männer ab Jahrgang 2008 werden wieder zur Musterung verpflichtet. Musterung bedeutet nicht nur eine ärztliche Untersuchung – sie bedeutet, dass der Staat auf militärische Verwertbarkeit prüft. Wer einmal als „tauglich“ gilt, trägt dieses Etikett ein Leben lang mit sich. Und genau das ist der Kern: Mit der Musterung entsteht ein Register potenzieller Soldat*innen. Es sind genau diese Menschen, die im Falle eines Krieges mit als Erste einberufen werden.

Das neue Gesetz geht noch weiter. Mit dem Paragrafen 2a im Wehrpflichtgesetz erhält die Bundesregierung die Möglichkeit, jederzeit und ohne akuten Kriegsfall die Wehrpflicht wieder zu aktivieren. Es reicht, wenn die Regierung beschließt, dass zu wenige Freiwillige da sind. Dann wird aus „Freiwilligkeit“ Zwang. Dann kann jede Person, die gemustert und als tauglich eingestuft wurde, einberufen werden – ob sie will oder nicht. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass die Wehrpflicht in voller Härte zurückkehrt, sobald die Zahl der Freiwilligen nicht ausreicht, um die militärischen Strukturen aufrechtzuerhalten.

Für diejenigen, die sich tatsächlich auf den „freiwilligen“ Weg in die Bundeswehr einlassen, endet die Verpflichtung nicht mit der Ausbildung oder der Dienstzeit. Wer einmal Soldat*in war, bleibt Teil der Reserve – und damit Teil eines Systems, das jederzeit zurückgreifen kann. Wer heute glaubt, nach ein paar Monaten Dienst „fertig“ zu sein, wird im Ernstfall als Erster zurückgerufen. Die Verpflichtung hört nicht auf, sie verschwindet nur im Hintergrund – bis ein Befehl sie wieder hervorholt.

Das bedeutet: Schon das Ausfüllen eines Fragebogens, schon der Gang zur Musterung, schon der Eintritt in die Ausbildung sind Schritte auf einem Weg, der immer näher an eine mögliche Verpflichtung zum Töten führt. Es ist ein Weg, der nicht mehr leicht zu verlassen ist, sobald er einmal eingeschlagen wurde.

Die Politik spricht von „Sicherheit“ und „Verantwortung“. Doch für uns, die junge Generation, bedeutet dieses Gesetz etwas anderes: weniger Freiheit, weniger Selbstbestimmung und die ständige Gefahr, gegen unseren Willen Teil einer Militärmaschine zu werden. Wir leben in einerZeit, in der Kriege nicht mehr nur in der Ferne stattfinden, sondern uns direkt betreffen. Und gerade in dieser Zeit wird klar: Die Wehrpflicht mag offiziell ausgesetzt sein – doch mit diesem Gesetz steht sie wieder vor unserer Tür.